Lohnfortzahlung und Sperrfristen: Welche Ansprüche habe ich bei Krankheit?


Besteht überhaupt eine Lohnfortzahlungspflicht bei Krankheit?

Ja, es besteht eine gesetzliche Verpflichtung, den Lohn bei unverschuldeter Arbeitsverhinderung für eine bestimmte Zeit weiterhin zu bezahlen. Wird der Arbeitnehmer aus Gründen, die in seiner Person liegen, wie Krankheit, Unfall, Erfüllung gesetzlicher Pflichten oder Ausübung eines öffentlichen Amtes, ohne sein Verschulden an der Arbeitsleistung verhindert, so hat ihm der Arbeitgeber gemäss Art. 324a OR für eine beschränkte Zeit den darauf entfallenden Lohn, samt einer angemessenen Vergütung für ausfallenden Naturallohn zu bezahlen. Die Lohnfortzahlungspflicht gilt allerdings nur, sofern das Arbeitsverhältnis mehr als drei Monate gedauert hat oder für mehr als drei Monate eingegangen wurde. Bei einem unbefristeten Arbeitsvertrag, welcher vor Ablauf von drei Monaten gekündigt werden kann, beginnt die Lohnfortzahlungspflicht erst ab dem ersten Tag des vierten Monats der Anstellung (vgl. BGE 131 III 623). Eine Lohnfortzahlung ist auch bei einer Schwangerschaft der Arbeitnehmerin geschuldet.


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Wie lange erhalten Arbeitnehmer ihren Lohn bei Krankheit?

Lohnfortzahlung mit Krankentaggeldversicherung

Häufig schliessen Arbeitgeber Krankentaggeldversicherungen für ihre Arbeitnehmer ab. Die meisten Krankentaggeldversicherungen zahlen bei Krankheit 80% des Lohns während 720 oder 730 Tagen in 900 Tagen. Teilweise leisten die Versicherungen auch mehr oder weniger resp. erst nach einer Wartefrist von 14, 30, 90 oder gar 180 Tagen. Entscheidend für die Lohnfortzahlung ist besonders die Frage, ob die es sich bei der Krankentaggeldversicherung um eine sogenannte «gleichwertige Lösung» handelt, welche die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers ablöst. Eine solche gleichwertige Lösung liegt gemäss Gerichtspraxis dann vor, wenn von der Krankentaggeldversicherung während 720 Tagen in 900 Tagen mindestens 80% des Lohns bezahlt werden und die Wartetage nicht mehr als 1-3 Tage (je nach Gericht) betragen. Ausserdem müssen die Versicherungsprämien mindestens zur Hälfte vom Arbeitgeber bezahlt werden. Sobald der Arbeitgeber für seine Arbeitnehmer eine gleichwertige Krankentaggeldversicherung abgeschlossen hat, wird er von seiner eigenen Lohnfortzahlungspflicht befreit. Es besteht dann ausschliesslich Anspruch auf die Leistungen der Krankentaggeldversicherung.

Lohnfortzahlung ohne Krankentaggeldversicherung

Sofern keine Krankentaggeldversicherung abgeschlossen wurde, kommt die gesetzliche Regelung des Obligationenrechts zur Anwendung. Nach dieser hat der Arbeitgeber gemäss Art. 324a Abs. 2 im ersten Dienstjahr den Lohn für drei Wochen und nachher für eine angemessene längere Zeit zu entrichten. Im Arbeitsvertrag, Gesamtarbeitsvertrag (GAV) oder Normalarbeitsvertrag (NAV) kann eine längere Zeit vereinbart werden. Die Lohnzahlung beträgt anders als bei Krankentaggeldversicherungen 100%. Wurde keine Regelung zur Lohnfortzahlung getroffen, so bestimmt sich die Lohnfortzahlungsfrist nach dem Kanton und den Dienstjahren. Die Gerichte wenden dabei drei Skalen an: Die Basler Skala, die Berner Skala und die Zürcher Skala.


Basler Skala
BS, BL
Berner Skala
Übrige Kantone
Zürcher Skala
ZH, SH, TG
1. Dienstjahr 3 Wochen 3 Wochen 3 Wochen
 2. Dienstjahr 2 Monate 1 Monat 8 Wochen
 3. Dienstjahr 2 Monate 2 Monate 9 Wochen
 4. Dienstjahr 3 Monate 2 Monate 10 Wochen
 5. Dienstjahr 3 Monate 3 Monate 11 Wochen
 6. Dienstjahr 3 Monate 3 Monate 12 Wochen
 7. Dienstjahr 3 Monate 3 Monate 13 Wochen
 8. Dienstjahr 3 Monate 3 Monate 14 Wochen
 9. Dienstjahr 3 Monate 3 Monate 15 Wochen
 10. Dienstjahr 3 Monate 4 Monate 16 Wochen
 11. Dienstjahr 4 Monate 4 Monate 17 Wochen

Die Lohnfortzahlungsanspruch wird pro Dienstjahr berechnet und beginnt in jedem Dienstjahr von neuem zu laufen. Kommt es zu mehreren Absenzen pro Dienstjahr, so werden diese zusammengerechnet. Eine Wegbedingung der Lohnfortzahlung ist nicht zulässig.

Beispiel: H. Müller ist seit dem 1.Mai 2018 bei einer Firma in Basel-Stadt angestellt. Er wird am 1. Juni 2020 für mehrere Monate krank. Die Lohnfortzahlungspflicht beträgt im dritten Dienstjahr gemäss Basler Skala 2 Monate. Da der Arbeitgeber keine Krankentaggeldversicherung abgeschlossen hat, muss er Herrn Müller den vollen Lohn für 2 Monate weiterhin bezahlen.


Wie lange dauert der Kündigungsschutz bei Krankheit?

Wird ein Arbeitnehmer unverschuldet (durch Krankheit oder Unfall) ganz oder teilweise arbeitsunfähig, so ist er während einer bestimmten Zeit vor einer Kündigung geschützt. Der Schutz beginnt erst nach Ablauf der Probezeit. Die Dauer der in Art. 336c OR geregelten sogenannten «Sperrfristen» richtet sich nach der Anzahl Dienstjahre. Im ersten Dienstjahr besteht der Kündigungsschutz während 30 Tagen, ab zweitem bis und mit fünftem Dienstjahr während 90 Tagen und ab sechstem Dienstjahr während 180 Tagen. Ausserdem sind Arbeitnehmerinnen während der Schwangerschaft und in den 16 Wochen nach der Niederkunft vor einer Kündigung geschützt.

Wird die Kündigung durch den Arbeitgeber während einer solchen Sperrfrist erklärt, so ist sie nach Art. 336c Abs. 2 OR nichtig. Mit anderen Worten ist es dann so, als wäre die Kündigung gar nie passiert. Ist dagegen die Kündigung vor Beginn einer solchen Frist erfolgt, aber die Kündigungsfrist bis dahin noch nicht abgelaufen, so wird deren Ablauf unterbrochen und erst nach Beendigung der Sperrfrist fortgesetzt. Mit anderen Worten verlängert sich die Kündigungsfrist, wenn man während der Kündigungsfrist krank wird und läuft erst nach Ablauf der Sperrfrist weiter.

Beispiel 1: H. Müller ist seit dem 1. Mai 2018 bei einer Firma in Basel-Stadt angestellt. Er wird am 1. Juni 2020 krank, worauf ihm der Arbeitgeber am 2. Juni 2020 per 31. August 2020 kündigt. Im dritten Dienstjahr besteht eine Kündigungssperrfrist von 90 Tagen. Die Kündigung ist während dieser Sperrfrist ausgesprochen worden und deshalb nichtig. Der Arbeitgeber muss deshalb nach Ablauf der Sperrfrist nochmals kündigen.

Beispiel 2: A. Frei ist seit dem 1. Januar 2017 bei einer Firma in Bern angestellt. Sie erhält am 20. März 2020 eine Kündigung per 30. Juni 2020. Am 3. Mai 2020 wird Frau Frei während der Kündigungsfrist krank. Im vierten Dienstjahr besteht eine Kündigungssperrfrist von 90 Tagen. Die Kündigung ist vor dieser Sperrfrist ausgesprochen worden und deshalb grundsätzlich gültig. Die Kündigungsfrist wird jedoch unterbrochen und läuft erst nach Ablauf der Sperrfrist weiter.


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Robin Eschbach

Rechtsanwalt, Mitbegründer von Rechtswissen.ch
Partner bei Advokatur am Fischmarkt, 4410 Liestal

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