Coronavirus: Impfobligatorium und Haftung für Impfschäden


Vorbemerkung

Aufgrund zahlreicher emotionaler Rückmeldungen möchten wir gerne folgendes klarstellen: Dieser Beitrag hat wie alle Blogbeiträge auf Rechtswissen.ch zum Ziel, die aktuell geltende Gesetzeslage in der Schweiz aus objektiver Sicht darzustellen. Beabsichtigt ist, dem Leser oder der Leserin die Rechtslage näher zu bringen, die er oder sie gut oder schlecht finden darf. Der Autor möchte mit der rechtlichen Betrachtung keine Stellung pro oder contra Impfzwang beziehen. Es diene der allgemeinen Beruhigung, dass ein Impfobligatorium weder vorgesehen noch wahrscheinlich ist. Falls Leserinnen und Leser sich an der geltenden Rechtslage stören sollten, so dürfen sie sich gerne in den politischen Diskurs einbringen. Wir von Rechtswissen.ch möchten als Wissensplattform nicht an der politischen Meinungsbildung teilnehmen. Bleiben Sie gesund!


Einleitung

Impfungen sind in der Gesellschaft teilweise umstritten, besonders wenn es um den Schutz von Kindern geht. Es besteht die verbreitete Angst vor schwerwiegenden Gesundheitsschäden, die durch Impfungen verursacht werden könnten. In den letzten Wochen wurde bekannt, dass unter anderem die Impfstoff-Hersteller Biontech/Pfizer, Astrazeneca und Moderna Erfolge im Kampf gegen den Coronavirus zu vermelden haben. Welche Impfstoffe am Ende zugelassen und der Schweizer Bevölkerung zur Verfügung stehen werden, ist noch unklar. Im Zusammenhang mit den bevorstehenden COVID-19-Impfungen wird nun diskutiert, ob insbesondere bei Risikogruppen und Gesundheitspersonal ein Impfobligatorium eingeführt werden soll. Existiert tatsächlich die Möglichkeit einen Impfzwang zu beschliessen und unter welchen Voraussetzungen wäre dieser zulässig? Wer zahlt ausserdem für die gesundheitlichen Folgen einer Impfung, falls ein sogenannter Impfschaden eintritt?

UPDATE 28.10.2021: Zwischenzeitlich wurden in der Schweiz Impfstoffe von Biontech/Pfizer, Moderna und Johnson & Johnson zugelassen. Ein Impfzwang besteht noch immer nicht, wenn auch mit den Einschränkungen (u.a. Zertifikatspflicht) im Alltag Nachteile für Personen ohne Zertifikat bestehen.


Ist ein behördliches Impfobligatorium zulässig?

Der Bundesrat kann in einer «besonderen Lage» Impfungen bei gefährdeten Bevölkerungsgruppen, bei besonders exponierten Personen und bei Personen, die bestimmte Tätigkeiten ausüben, für obligatorisch erklären (Art. 6 Abs. 2 lit. d Epidemiengesetz EPG). Ein Impfobligatorium wäre also grundsätzlich zulässig und u.a. bei Gesundheitspersonal oder Risikogruppen denkbar. Der Impfzwang bedeutet jedoch natürlich nicht, dass eine Corona-Impfung mit physischer Gewalt verabreicht wird. Es handelt sich vielmehr um eine rechtliche Pflicht. Personen, die sich nicht an das Impfobligatorium halten, würden gebüsst werden. Denkbar wäre auch die Versetzung z.B. von nichtgeimpften Krankenpflegern auf eine andere Station, wo sie nicht mehr mit Risikopatienten arbeiten würden. Das Epidemiengesetz lässt offen, welche Strafe genau drohen soll, wenn ein Impfzwang verletzt wird. Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels (29.11.2020) wurde im Zusammenhang mit dem Coronavirus noch kein Impfobligatorium beschlossen.

UPDATE (22. April 2021): Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hält die Anordnung einer Impfpflicht gemäss dem Urteil VAVŘIČKA AND OTHERS v. THE CZECH REPUBLIC grundsätzlich für zulässig. Vorliegend wurde der Fall eines Impfobligatoriums für Kinder in Tschechien (u.a für Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten) beurteilt. Wegen einer Zuwiderhandlung wurde von den Behörden eine Busse ausgesprochen. Die Impfpflicht sei nach der Ansicht des EGMR keine Verletzung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäss Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Der EGMR hält ausdrücklich fest, dass die Mitgliedsstaaten die positive menschenrechtliche Verpflichtung haben, die Gesundheit ihrer Bevölkerung zu schützen. Das Impfobligatorium sei die Antwort der tschechischen Behörden auf diese Verpflichtung. Weitere Informationen zum Urteil finden Sie in der Pressemitteilung des EGMR. Es handelt sich um das erste Urteil des EGMR zur Impflicht von Kindern und könnte deshalb auch in der Schweiz Auswirkungen auf die laufende gesellschaftliche Debatte zur Rechtmässigkeit einer (derzeit weder geplanten, noch drohenden!!) Impfpflicht haben.


Darf der Arbeitgeber eine Impfung anordnen?

Ein Impfzwang im Arbeitsverhältnis ist gestützt auf das Weisungsrecht des öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Arbeitgebers grundsätzlich zulässig. Es muss aber immer eine Interessenabwägung zwischen dem Arbeitnehmerinteresse und dem Interesse des Betriebes vorgenommen werden. Die Arbeitnehmer sind dann bei gegebenen Voraussetzungen verpflichtet, die Weisungen des Arbeitgebers zu befolgen. Denkbar ist, dass der Arbeitgeber z.B. in Altersheimen oder Spitälern eine Impfung anordnet, wenn ansonsten ein gesundheitliches Risiko für die Patienten bestehen würde.


Was ist ein Impfschaden?

Das schweizerische Recht kennt anders als bspw. das deutsche Recht keine Definition für Impfschäden. Nach § 2 Ziff. 11 des deutschen Infektionsschutzgesetzes (IfSG) liegt ein Impfschaden dann vor, wenn ein bleibender gesundheitlicher Schaden nach einer Impfung eintritt, welcher über eine übliche Impfreaktion hinausgeht. Häufige Nebenwirkungen (Hautrötungen, Schwellungen, Schmerzen, Müdigkeit, Husten, Durchfall und Fieber) genügen deshalb noch nicht zur Annahme eines Impfschadens, da sie regelmässig auftreten und schnell und komplikationslos von alleine wieder verschwinden. Tritt als Folge einer Impfung jedoch zum Beispiel eine vorübergehende oder bleibende Arbeitsunfähigkeit auf, so handelt es sich dabei tendenziell um einen schweren Folgeschaden. Schwerwiegende Nebenwirkungen kommen glücklicherweise so gut wie nie vor. Der Bund gibt dabei einen Wert von weniger als einmal pro 100’000 Impfungen an. Im Vergleich mit den erheblichen gesundheitlichen Risiken von Kinderlähmung, Pocken und co., handelt es sich dabei wohl um ein vertretbares Risiko.


Wer haftet für Impfschäden?

Bei der Frage, wer für die Folgen von Impfschäden Schadenersatz und Genugtuung zu leisten hat kommt es darauf an, wem die gesundheitlichen Folgen angelastet werden müssen. Falls der Impfstoff fehlerhaft ist, dann muss der Impfstoffhersteller (Produktehaftung) grundsätzlich dafür gerade stehen. Geht der Fehler vom Arzt aus, der die Impfung falsch verabreicht oder nicht über die Risiken aufklärt, dann müsste der Arzt (Arzthaftung) für den Schaden aufkommen. Verursacht die Impfung eine Arbeitsunfähigkeit, so bezahlen häufig Privat- oder Sozialversicherungen den Ausfall. Schliesslich kommt auch eine Haftung des Bundes in Frage (Staatshaftung), wenn die Impfung in der Schweiz erfolgte und von einer Schweizer Behörde empfohlen oder angeordnet wurde.

Eine Herstellerhaftung des Impfstoffproduzenten kommt nur sehr selten in Frage, da der Bund dem Hersteller häufig die Übernahme eines allfälligen Schadens garantiert, weil ein grosses Interesse an der landesweiten Abdeckung mit Impfstoffen besteht. Die Verletzung der Aufklärungspflicht stellt in der Praxis für den Geschädigten den bedeutendsten Haftungsfall im Rahmen der Arzthaftung dar. Grund dafür ist, dass der Arzt beweisen muss, dass er den Patienten gebührend über die Risiken der Impfung aufgeklärt hat. Der ärztliche Behandlungsfehler ist dagegen von geringerer Bedeutung, da hier der Patient den Fehler des Arztes nachweisen müsste, was meistens sehr schwierig ist. Der Bund sieht eine Haftung für Impfschäden vor, wenn der erlittene Schaden nicht bereits durch Dritte gedeckt worden ist. Bevor die Schweizer Behörden Schadenersatz oder Genugtuung bezahlen, muss also zuerst der Impfstoff-Hersteller oder der Arzt erfolglos belangt worden sein. Ausserdem gehen auch die Leistungen von Privat- oder Sozialversicherungen der Haftung des Bundes vor. Hier finden Sie das Gesuchsformular des Bundes für Entschädigung bei Impfschäden.


Fazit

Ein Impfobligatorium mit der Verteilung von Bussen wäre in der Schweiz beim Coronavirus grundsätzlich zulässig. Auch ein Impfzwang im Arbeitsverhältnis ist denkbar. Falls seltene Impfschäden auftreten, so haftet derjenige, welchem der Fehler zugeschrieben werden kann. In Frage kommen die Impfstoff-Hersteller, Ärzte und subsidiär auch der Bund. Es wird sich voraussichtlich im nächsten Jahr zeigen, ob in der Schweiz ein Impfobligatorium für die Corona-Impfung kommt. Spätestens wenn Fluggesellschaften und co. nur noch geimpfte Passagiere aufnehmen, so werden wahrscheinlich sowieso die meisten Leute freiwillig beim Impfzentrum Schlange stehen.


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Robin Eschbach

Rechtsanwalt, Mitbegründer von Rechtswissen.ch
Partner bei Advokatur am Fischmarkt, 4410 Liestal

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